Die Theresienwiese

Riesenrad und Rutschbahn auf dem Münchner Oktoberfest

Einmal runter oder mehrmals im Kreis: Die Wiesnfahrgeschäfte bieten Bewegung in allen Darreichungsformen!

42 Hektar Brachland in bester Münchner Stadtlage. Immobilienfischer jeder Art würden sich Duelle um die Bebauungsrechte dieser Fläche liefern, stünden diese zum Verkauf. Doch dazu kommt es nicht, denn die Theresienwiese muss frei bleiben für den alljährlich an lauen Spätsommertagen stattfindenden Höhepunkt im Münchner Jahreslauf: das Oktoberfest. Freunde der Hochkultur mögen einwenden, die Opernfestspiele im Juni seien doch erheblich wichtiger und auch kulturell weit über der prolligen Biersause anzusiedeln. Der „bairische Nationalrausch“ trägt jedoch in jedem Fall den Siegerkranz davon, den das Prachtweibsbild Bavaria mit der linken Hand kraftvoll nach oben reckt. Die Kolossalstatue bewacht von erhabener Position an der westlichen Hangkante unseres Schauplatzes aus das 16-tägige Gewusel der „Wiesn“, während sie sich den Rest des Jahres mit einer leeren Fläche zu begnügen hat, auf der sich nur Skater und Asphaltsegler tummeln, Hunde herumtollen und gelegentlich Rettungshubschrauber landen.

NASA-Foto der Theresienwiese München

Die Wiesn ist selbst vom Weltraum aus zu sehen: Das Foto schoss die Besatzung der Internationalen Weltraumstation am 24.9.2011 aus ungefähr 350 Kilometern Höhe.

Ruhmeshalle und Bavaria uder Theresienwiese München

Zum Ruhm und zur Ehre Bayerns und seiner größten Köpfe: Ruhmeshalle und Bavaria auf der Theresienwiese

Ruhmeshalle an der Münchner Theresienwiese

Wessen Büste in der Ruhmeshalle hängt, der oder die hat Bayerns Ruhm und Ehre mit edlen Taten gemehrt.

Locker sieben Millionen Liter Bier lassen die meist ebenso vielen Besucher alljährlich durch ihre trockenen Kehlen rinnen. Dabei wird das Bier traditionell im Liter, als Maß, ausgeschenkt, den der Wirt großzügigerweise auf 0,9 herunterkorrrigiert. Unter den Gästen befinden sich nicht nur Schleckspechte, sondern auch Kleinkinder, Anti-Alkoholiker, Mitglieder von Damenkränzchen und zunehmend mehr Besucher aus dem Ausland. Letztere nennen das Oktoberfest in bestem Oxford-Englisch „Beer Festival“oder, wenn sie etwa aus iberisch geprägten Landstrichen anreisen, „Fiesta de la Cerveza“. Diese Bezeichnungen treffen den Charakter der Veranstaltung im Kern und sind zutreffender als die offizielle Bezeichnung „Oktoberfest“, zumal für einen hauptsächlich im September stattfindenden Rummel.

Für das Oktoberfest angelieferte WC-Schüsseln

Auf der Wiesn fließt viel, erst rein, dann raus: Zum Aufbau angelieferte Kloschüsseln.

Doch warum und seit wann gibt es dieses Fest überhaupt?

Pferderennen auf der Theresienwiese, 1870

Auch viele Jahre nach der historischen Hochzeit fanden auf der Theresienwiese noch Pferderennen statt.

Einst ehelichte der bayerische Kronprinz Ludwig eine sächsische Prinzessin namens Therese. Am 12. Oktober 1810 wurde diese Union vor dem Traualtar besiegelt. Die ausgiebige Hochzeitsfeier endete schließlich am 10. Oktober 1810 mit einem großen Pferderennen auf einer Wiese vor der Stadt. Und weil’s so schön war, wiederholte man das Pferderennen im Jahr darauf zur selben Zeit, und so entwickelte sich langsam ein großes regelmäßiges Volksfest, das Oktoberfest. Zu den Bierbuden kamen bald auch Hühnerbratereien. Die erste bot 1881 den knusprigen (halben) Bratvogel an, der später zur Basiskomponente eines klassischen Wiesngutscheinsets wurde, bestehend eben aus einem halben Hendl und zwei Maß! Heute beglücken viele Münchner Firmen Kunden wie auch Mitarbeiter zur Wiesnzeit mit dieser sozialen Aufmerksamkeit.

Was Einheimische wissen: Das Oktoberfest findet hauptsächlich im September statt, was sie oft nicht wissen, ist warum. Dabei liegt die Lösung fast auf der Hand: Im September ist das Wetter verlässlicher als im Oktober. Deshalb beschloss man 1872, als das Gelände rund um die Theresienwiese nicht mehr für die Landwirtschaft benötigt wurde und die Ernte abgewartet werden musste, dass die damals fast schon traditionell gewordene Biersause schon im September beginnen könne. Seitdem feiert man in München im September den Oktober.

Hinweisschild auf Toilette auf dem Oktoberfest München

Ein beliebter und stets gut besuchter Treffpunkt auf der Wiesn

Der Ort des Geschehens wurde zu Ehren der Braut „Theresienwiese“ genannt und das darauf stattfindende Fest nennen Einheimische ebenso wie münchnerisch fühlende Zuagroaste ganz einfach die „Wiesn“, die im Lauf der Jahrzehnte zum weltweit beachteten Tourismusevent wurde und seit einiger Zeit auch des Volkstümelns unverdächtige Jugendliche dazu verleitet, einmal im Jahr in mehr oder weniger fantasie-generierte Trachtenklamotten zu steigen. Die Münchner lieben trotz des Trubels ihre Wiesn und freuen sich auch über den gewaltigen Wirtschaftswert von rd. einer Milliarde Euro, den das „Beer Festival“ Jahr für Jahr über ihrer Stadt ausschüttet.

Standkonzert aller Festzeltkapellen auf den Treppen vor der Bavaria

Hier gibt’s Bayernfolkore satt: Publikum des Standkonzerts aller Festzeltkapellen auf den Treppen vor der Bavaria

Aufmerksamen Besuchern der Theresienwiese außerhalb der Wiesnzeit fällt der diskrete dunkle Flachbau am Westrand des Geländes auf. Das „Servicezentrum Theresienwiese“ (SZT) beherbergt während der Wiesnzeit Festleitung, Fundbüro, Polizei und Rotes Kreuz, welches dort auch die meist gut frequentierten Ausnüchterungsplätze bereithält. Die Stadt München ist stolz auf dieses Bauwerk vom Berliner Architekturbüro Volker Staab, „das nicht als Haus wirkt, sondern sich als ‚Infrastrukturobjekt für das Oktoberfest’ unauffällig in das Gelände der Theresienwiese einfügt. Wie ein Kupferbarren ruht der flache 84 Meter lange Baukörper auf der Ebene. Seine metallische Hülle wird im Laufe der Zeit patiniert und gleicht sich optisch an die Schotter- und Wiesenflächen an“ (muenchen.de).

Theresienwiese München mit Ruhmeshalle und Bavaria

Warum die Wiesn Wiesn heißt, sieht man hier! Rechts unter den Bäumen erkennt man das wirklich sehr diskrete Servicezentrum zum Oktoberfest.

Am 26. September 1980 um 22.19 Uhr erschütterte ein heimtückischer Anschlag die fröhliche Feststimmung auf der Theresienwiese. Direkt am Haupteingang explodierte eine Rohrbombe, die 13 Menschen in den Tod riss und über 200 zum Teil schwer verletzte. Als Attentäter wurde der 21-jährige Gundolf Köhler ausgemacht, der bei der Explosion auch selbst ums Leben kam. Die von den Ermittlungsbehörden aus Bund und Land vertretene These von der Alleintäterschaft eines sozialen Außenseiters ist bis heute umstritten. Zahlreiche Hinweise deuten auf Verbindungen Köhlers mit der gewaltbereiten Neonaziszene hin. Der Münchner Journalist Ulrich Chaussy trug mit seinen jahrzehntelangen Recherchen maßgeblich dazu bei, dass die Ermittlungen 2014 neu aufgenommen wurden  Das Oktoberfest wurde trotz des blutigen Attentats nicht abgebrochen. Am Ort des Anschlags erinnert eine Gedenkstätte an das Attentat und seine Opfer.

An der Stelle der Explosion erinnert ein vom Künstler Friedrich Koller geschaffenes Ensemble an die Opfer des Attentats. Die im Boden eingelassenen stilisierten „Splitter“ gemahnen Passanten und aufmerksame Wiesnbesucher eindrücklich an die immerwährende Möglichkeit, willkürlich aus dem Leben herausgerissen und zum Opfer zu werden.

Wer am Sockel der kolossalen Bavaria-Statue stehend, oder auch aus ihrem Kopf herausschauend, den Blick nach Osten richtet, blickt über die Dächer und Türme Münchens und schaut natürlich auf die davor liegende Theresienwiese, Schauplatz königlichen Glanzes ebenso wie volkstümlicher Bierseligkeit.

Statue der Bavaria auf der Theresienwiese München

Die astreine und blitzsaubere Bavaria hat auch bei indiskreten Blicken nichts zu verbergen.

 

© Text und Fotos (außer Weltraumfoto: NASA, Historische Zeichnung: pd): interconcept/Frank Ferschen
Ihr Partner für Redaktion, Lektorat, Korrektorat, Bildredaktion, Projektkoordination

ic magazin