Die Jeans-Beduinen vom Wadi Qelt
Der Geheimtipp im Reiseführer empfiehlt Besuchern der alten Stadt Jericho einen Abstecher ins Wadi Quelt. Dort liegt, oder klebt eher an einer Felswand des Wadis, das seit dem 5. Jahrhundert bezeugte Georgskloster. Manche Stimmen sagen, dass das im Gleichnis vom barmherzigen Samariter geschilderte Geschehnis in dieser unwirtlichen Gegend, zwischen Jerusalem und Jericho, stattgefunden haben soll.
Der Reiseführer skizziert rudimentär eine Route, Start im Zentrum von Jericho. Trotz vollständiger Abwesenheit jeglichen Wegweisers findet der Mietwagen des Touristen den Weg auf eine steinige Bergpiste. Und da links und rechts Wände aufsteigen, könnte das doch ein Wadi sein. Den Hinweis »Nur für Geländefahrzeuge« müssen die Besucher übersehen haben. Steine schlagen gegen das Bodenblech des Mietwagens, die Schlaglöcher werden tiefer, die Piste schmaler. Hatten wir Vollkasko?
Fantastische Aussichten entlohnen für die Holperfahrt. Jericho, Oase, stahlblauer Himmel. »Wo ist das Kloster?« »No English« sagt lächelnd der arabische Junge und treibt seine Ziege weiter. No English, no monastery? Gut, noch eine Kurve, nach diesem Hügel müsste das Kloster ins Sicht kommen. Passiert aber nicht. Kein Platz zum Wenden, jetzt rückwärts zurück fahren? Noch eine Kurve, nun ein komfortabel breites Plateau mit überragendem Panoramablick.
Kein Kloster zu sehen. Von oben nahen zwei Männer in traditionellen Gewändern. Bauern bestimmt, die mit Esel und Maultier von ihrem mühseligen Tagwerk zurückkehren. Oder die Freiheit der Wüste gewohnte Beduinen mit tiefem Blick und archaischen Gebräuchen. In jedem Fall freundliche, einfache Menschen, die sich in der Gegend auskennen und den Besuchern aus der Fremde trotz »No English« den Weg zum Kloster erklären werden. Oder handelt es sich vielleicht doch um die Vorhut einer Entführerbande, die leichtsinnige Wüstentouristen kidnappt und dann von der Bundesregierung für die Rückerstattung ihrer Bürger drei Millionen Euro Lösegeld verlangt?
Nein, solche Geschichten hat man doch nur aus Somalia oder dem Jemen gelesen, nie aber aus dem entspannten Westjordanland. Dennoch: jetzt lieber langsam und unauffällig auf das Auto zugehen, einsteigen und im entscheidenden Moment durchstarten, die Räder Staub aufwirbeln lassen, und schnell zurück auf die Bergpiste nach Jericho.
Zu lange nachgedacht. Esel, Maultier und die Bauern-Entführer sind schon zu nah. Tatsächlich fangen sie an zu winken und zu gestikulieren: »No go away, wait!« Vorbei, das war’s. Schon greifen die Kidnapper in die Satteltaschen ihrer Huftiere, wahrscheinlich, um ihre gefälschten Kalaschnikows, Kabelbinder für unsere Hände und Knebel hervorzuholen. Einer wird die Tiere zurück ins Dorf treiben, der andere wird uns, in den Kofferraum unseres Mietwagens verfrachtet, in unser temporäres Gefängnis in einer verlassenen Ruine in der Wüste bringen. Unterdessen sind unsere Entführer in den Satteltaschen fündig geworden: Ein ambulanter Andenkenstand mit Palästinensertüchern, Amuletten, Ringen, Ketten und Ledergürteln ist eröffnet.
Alles chinahandmade in traditionellen Werkstätten in Jericho. Es gibt kein Entkommen. Sozusagen Mindestverzehrzwang. Sonst werden wir das eigentliche Ziel der Exkursion, das St.Georgs-Kloster, vor dem nahen Sonnenuntergang nicht mehr zu Gesicht bekommen. Also: Tuch, Kette, Gürtel, Sonderpreis, specially for your, only today, Eselsritt inklusive. Abschiedsfoto. Unter der traditionellen Araberkluft Jeans und T-Shirt. Mister, tourist want original Arab! Das Kloster? Ach ja, gleich hinter der nächsten Kurve. You can park car and walk some minute.
Nur noch wenig Abendlicht fällt in das enge Tal. Ach, da ist eine befestigte Straße zu sehen, aus der anderen Richtung kommend. Auf dem Parkplatz packen gerade die letzten traditionell gekleideten Andenkenhändler die Ware auf ihre Lasttiere und machen sich auf den Weg in den Feierabend.
© Text + Fotos: interconcept Medienagentur/ Frank Ferschen
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