Grenzwertig unterwegs auf der Route des Frontières

Grenzfauna Kanada – USA

Die Route der Grenzen erfüllt, wenn man denn so will, einen kathartisch-psychologischen Zweck: Sie zeigt Grenzen auf. Zunächst aber lädt sie den an einem Freitagabend ahnungslos im kanadisch-US-amerikanischen Grenzland herumrollenden Touristen zu Entdeckungstouren ein auf dem Gebiet der Alkoholschmuggler während der Prohibition und, wie quebecmaritime.ca sorgfältig vermerkt, im Territorium der Tabakschmuggler während der 1980er- und 1990er-Jahre, „et plus encore“! Na dann!

109 km umfasst die Route des Frontières, auf der man von Saint-André-de-Kamouraska nach Saint-Jean-de-la-Lande reisen kann und dabei an so herrlich lautenden Orten wie zum Beispiel Pohénégamook vorbeikommt. All das spielt sich im Grenzgebiet zwischen den kanadischen Provinzen Québec und New-Brunswick und dem US-amerikanischen Bundesstaat Maine ab. Man kann dort grands moments historiques erleben oder sich wundern, warum es an der Route des Frontières wohl ganz offensichtlich eine Grenze, aber keine Grenzübergänge gibt.

Knapp 3000 Menschen leben in Pohénégamook, Témiscouata Regional County Municipality

Gemütlich schlängelt sich die Route durch Wiesen und Wälder, Felder und Wälder sowie Dörfer und Wälder. Bei Pohénégamook, am gleichnamigen idyllischen See gelegen, wird die US-Grenze fast schon fühlbar. Besonders gefühlsstark wirkte sie im Jahr 2002 auf einen der 2940 Pohénégamookianer ein, welcher, ohne Grenzkontrolle, über einen ortsbekannten kurzen Fahrweg zu Quellet’s Gaz Bar auf der US-amerikanischen Seite der Grenze fuhr, um, wie schon häufige Male, seinen Jeep kostengünstig vollzutanken. Ein US-Grenzbeamter – welcher vielen Ortsbewohnern als Urheber eines „reign of terror“ (The Telegraph, 15.2.2003) bekannt ist – beobachtete den arbeitslosen kanadischen Holzfäller und befragte ihn zu seiner illegalen Einreise in die Vereinigten Staaten. Unglücklicherweise spielte sich der Vorgang auch inmitten der Rebhuhnjagdsaison ab und Mr. J. aus Pohénégamook führte eine schussbereite Flinte mit sich. Das Ganze endete mit einem 32-tägigen Aufenthalt des Dorfbewohners in einem amerikanischen Gefängnis.

Was bedeutet dieser unerfreuliche Vorfall nun für unseren eingangs erwähnten Touristen, an besagtem Freitagnachmittag auf der Route des Frontières unterwegs mit dem Wunsch, die bevorstehende Nacht bereits in einem gepflegten Motel in Maine zu verbringen? Lauschen wir dem Bericht in Wort und Bild, der Sprachökonomie halber ab hier im Telegrammstil:

Pohénégamook, im See geschwommen, sehr entspannend ++ Auf zur Grenze ++ Abzweigung „Frontière“ ++ Wo ist der Grenzübergang? ++ Aha, hier, komisch, nur eine Veranda, aber mit Grenzschild!* ++

Leben im Grenzwertigen

* Hier sei ein illuminierender Einschub zur historischen Herleitung der Grenze erlaubt. The Telegraph, in der zitierten Ausgabe, beschreibt die Situation prägnant: „The frontier, fixed by Anglo-American treaty in 1842, then seemingly ignored until the 20th century – runs right through several villagers’ houses … there is now a serious border running an inch behind one man’s fridge, and dividing an elderly couple’s kitchen table in two.“

++ Das kann’s nicht sein, wir müssen falsch abgebogen sein. Aha, hier. Ein Grenzhäuschen mit Schalter, Schranke. Aber keine Grenzer. Soll man illegal einreisen wie womöglich der hinter Schranke laufende unbekannte junge Mann? Ist er US-Bürger oder Kanadier? Oder vielleicht der Grenzbeamte aus dem „Reign of terror“? ++

 

Wer ist das und warum?

++ Die Entscheidung: legale Einreise. ++ Längliche Rundfahrt auf der Suche nach einem Grenzübergang an der Route des Frontières ++ Landeskunde an einer Tankstelle: „Wo ist denn der Grenzübergang?“ – „(Tankwart) Welcher Grenzübergang?“ – „Nach USA!“ – „Ach so, keine Ahnung.“ – (Anderer Kunde) “Doch, gibt’s!“ – (Tankwart) „Echt?“ – (Weiterer Kunde) „Ja, aber der ist jetzt geschlossen.“ – (Erster Kunde) „Nein, da ist immer auf!“ – (Der weitere Kunde) „Ne, erst ab Montag wieder!“

Grands moments historiques an der Route des Frontières.

Übernachtung in Edmundston, New Brunswick, Canada. Einreise in die USA in Van Buren, Maine, 145 km von Pohénégamook entfernt. Geschafft!

Leaving the USA, noch bevor man ernsthaft dort war

 

© Text + Fotos: interconcept Medienagentur/ Frank Ferschen
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