Saudade hinter Plexiglas – zur Monsunzeit in Goa
Palolem, Goa. Vormals Hippieparadies, palmwedelgedeckte Hütte direkt am Strand, für ein paar Rupien am Tag. Die Hüttenidee gibt es immer noch, mittlerweile eher als Beach Resort.
Hauptsaison in Goa ist im europäischen Winter. Wer zur Monsunzeit kommt, zwischen Juni und September, stellt fest, dass das Hüttenidyll unter dicken blauen Plastikplanen verborgen ist. Ein Zimmer lässt sich finden, gleich über der Strandbar, eine Handvoll Rupien pro Nacht, wenn man mindestens vier Nächte bleibt. Sonst wird’s empfindlich teurer, umgerechnet locker einen Euro mehr für jede Übernachtung. Zum Zimmer gehört ein abgetrenntes Bad, die Dusche ist ein bündig mit der Wand endendes Wasserrohr, das aber immerhin zuverlässig ein kaltes Rinnsal bietet. Ventilator und großer Flachbildschirm. Einchecken: Bitte Pass mit ordentlichem Visum, wird fotokopiert. Registrierkarte ausfüllen.
Der Himmel bleibt grau und verhangen, in den jetzt schmutzig-braunen Indischen Ozean wagen sich die wenigen Monsuntouristen, belächelt von Fischern und vereinzelten Frauen, die am Strand mit Andenkenverkauf ihr Glück versuchen. Sehr friedliche Straßen- oder besser Strandhunde (?), Rinder und Kinder. Die Wolken am Himmel bilden ständig neue Formen, entlassen gewaltige Wassermassen auf Strand und Palmwedeldächer und schieben sich für Augenblicke so weit auseinander, dass Blau aufblitzt und, nach den letzten Tropfen des Schauers, eine Ahnung von sommerlichem Strandleben auf den Sand rieselt.
Zwei nebeneinander liegende Bars haben geöffnet, eine davon ist die mit dem Zimmer. Nebenan ist aber der Mojito besser. Sandboden, ein paar Pfähle und Balken, darüber Teerpappe, dann eine Schicht Palmwedel. Große Fensteröffnungen zu Strand und Meer. Plexiglasplatten werden vor die Öffnungen geschoben, wenn der Monsun allzu heftig hereindrischt. Aussicht durch die noch nicht plexiglasverstellten Fenster: Vier Hunde liegen in regelmäßigen Abständen voneinander am Strand, sie bilden ein Rechteckt, vielleicht ein Quadrat. Eine Frage der Perspektive. Wenn die Hunde Pfosten wären, könnte man zwischen ihnen eine Schnur spannen, dann hätte man den Grundriss für ein einfaches Gebäude markiert, vielleicht eine weitere Strandbar mit Palmwedeldach und Plexiglasscheiben gegen den Monsun.
Drinnen leise plätschernde Musik für westliche Touristen. Oder gefällt auch Indern Madredeus’ regengesättigte portugiesische Weltmusik, zu der man gut in einem Lissaboner Café den Wassertropfen beim trägen Herabperlen an den Fensterscheiben (aus Glas) zusehen kann, während man seine Pasteis de Nata langsam im Munde zergehen lässt?
In Palolem, im ehemals portugiesischen Goa, geht der Nachmittag zu Ende. Die vier Hundepfosten oder Pfostenhunde sind verschwunden. Der Himmel wird jetzt blaugrau, zwei andere Hunde beschnüffeln eine Plastiktüte. Kinder laufen barfuß am Rande der flacher gewordenen Wellen entlang. Der Kellner serviert einen Mojito.
© Text + Fotos: interconcept Medienagentur/Frank Ferschen
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